Berufungsantrag                                                                                                                                      

(Schreiben von meinem Anwalt an das 17. Zivilsenat Oberlandesgericht Frankfurt am Main)

 

In dem Rechtsstreit

           Hering

gegen

 1. Haftpflicht-Unterstützungs-Kasse (HUK)

2. R……. B…….(Halterin)

3. G……. B…….(Fz-Führer)

- 17 U 167/03 -

werden wir bezüglich der mit Schriftsatz vom 02.10.2003 eingelegten Berufung beantragen

Unter teilweiser Abänderung des am 17.07.2003 verkündeten Grund- und Teilurteils des Landgerichts Frankfurt am Main

1. die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, ein weiteres, angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, das jedoch € 53.685,64 (DM 105.000,00) nicht unterschreiten sollte, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins, und zwar für den Beklagten zu 3) ab dem 16.09.2000 und den Beklagten zu 1) ab dem 18.09.2000;

2. die Beklagten zu 1) und 3) gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger ab Zustellung der Klageschrift eine angemessene Schmerzensgeldrente zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch nicht unter € 357,90 (DM 700,00) pro Monat liegen sollte;

3. festzustellen, dass die Klage hinsichtlich der Klageanträge zu 3., 4., 5. und 7. dem Grunde nach mit einem weiteren Haftungsanteil der Beklagten von 30%, also insgesamt zu 100%, gerechtfertigt ist;

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger bisher nicht bezifferten materiellen Schadensersatz aus dem Verkehrsunfallereignis vom 28.04.1999 zu weiteren 30%, also insgesamt zu 100%, zu ersetzen, soweit die Ansprüche des Klägers nicht gemäß § 116 SGB X auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen;

5. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind dem Kläger weiteren immateriellen künftigen Schaden aus dem Unfallereignis vom 28.04.1999 zu weiteren 30%, also insgesamt zu 100%, zu ersetzen.

B e g r ü n d u n g:

                                                                           I. 

1.

Das Urteil des Landgerichts bedarf dringend der Korrektur, da das Landgericht aufgrund fehlerhafter Beweiswürdigung in unzulässiger Art und Weise einen kausalen Verursachungsbeitrag des Klägers am Unfall unterstellt hat.

2.

Aufgrund dieses fehlerhaft unterstellten Verursachungsbeitrages hat das Landgericht trotz des gravierenden Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 3) die Annahme eines Mitverschuldens des Klägers in Höhe von 30% für angemessen erachtet. Damit hat das Landgericht den geringfügigen Geschwindigkeitsübertritt des Klägers von 10 km/h nicht nur rechtsfehlerhaft unterstellt, sondern auch maßlos überbewertet. Eine angemessene Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG a.F. hätte bei Beachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalles und unter Berücksichtigung vernünftiger Verkehrserwartung geboten, das – unterstellte – leichte Verschulden des Klägers und die Betriebsgefahr seines Motorrades hinter dem gravierenden Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 3) zurücktreten zu lassen, also die alleinige Haftung der Beklagten festzustellen.

3.

Infolge der rechtsfehlerhaften Annahme einer 30 %-igen Haftungsquote kürzt das Landgericht zu Unrecht das für angemessen erachtete Schmerzensgeld, den geltend gemachten Schadensersatz sowie die Feststellungsbegehren jeweils um 30 %.

4.

Im übrigen hätte das Landgericht im Rahmen einer angemessenen Bewertung des immateriellen Schadens den gravierenden und dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers durch Gewährung einer zusätzlichen Schmerzensgeldrente Rechnung tragen müssen.

II.

Im einzelnen:

1. Fehlerhafte Beweiswürdigung

Das Urteil leidet darunter, dass der konkrete Unfallhergang völlig ungewiß ist.

Die vom Landgericht in den Entscheidungsgründen vorgenommene Beweiswürdigung baut darauf auf, dass die von der Polizei im Rahmen der nachträglichen Unfallaufnahme festgestellte Bremsspur dem klägerischen Motorrad zuzuordnen ist. Dies ist jedoch äußerst zweifelhaft und ausdrücklich bestritten, durfte vom Landgericht also nicht unterstellt werden.

Insofern kann sich das Landgericht nicht auf die Ausführungen des Sachverständigen berufen, da dieser seine sämtlichen Aussagen vorbehaltlich der Annahme getroffen hat, dass die Bremsspur tatsächlich dem Kläger zuzuordnen sei. Die entscheidende Frage, ob die Bremsspur vom Kläger stamme, hat der Sachverständige ausdrücklich offengelassen.

Nachdem das Landgericht seine Annahme einer Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers im wesentlichen auf die Länge der Bremsspur stützt, hätte zunächst bewiesen werden müssen, ob die Bremsspur tatsächlich vom Kläger stammt. Dies ist jedoch nicht geschehen, obwohl insofern erhebliche Zweifel bestehen, auf die der Kläger in seinem Vortrag vielfach ausdrücklich hingewiesen hat.

1.1

Eine zuverlässige Unfallaufnahme war nicht möglich, da der Beklagte zu 3) nicht nur entgegen jeder Vernunft, sondern auch unter Verstoß seiner Sorgfaltspflichten als Verkehrsteilnehmer die am Unfall beteiligten Fahrzeuge nicht in der “Kollisionslage” belassen hat. Infolge der “Abräumaktion” des Beklagten zu 3) war es den unfallaufnehmenden Polizisten nicht möglich, den Kollisionsort zu bestimmen. Ohne Kenntnis des konkreten Kollisionsortes und der genauen Lage der unfallbeteiligten Fahrzeuge ist die Zuordnung der vorgefundenen Bremsspur zum Unfall nicht möglich. 

Die dennoch erfolgte Aufnahme der Bremsspur in die Unfallskizze beruhte folglich lediglich auf der ungesicherten Vermutung der Polizeibeamten, die Bremsspur müsse wohl zum Unfall des Klägers gehören. Ausweislich des Vermerks des POK K…. vom 12.05.1999 ist die Bremsspur erst vier Stunden nach dem Unfallereignis nachträglich als lediglich “vermutliche” Bremsspur des Klägers mit 5,90 Meter eingemessen und in eine Unfallskizze übernommen worden.

Diese Vermutung ist aber keinesfalls zwingend. Schließlich handelt es sich beim Oederweg um eine stark befahrene Einfallstraße in die Frankfurter Innenstadt, so daß die vorgefundene Bremsspur ohne weiteres auch von einer anderen kritischen Verkehrssituation im Kreuzungsbereich Wolfsgangstraße/Oederweg herrühren kann.

1.2

Untersuchungen, ob die auf diese Weise nachträglich festgestellte Bremsspur tatsächlich von den Reifen des klägerischen Motorrades stammt, sind nicht angestellt worden.

1.3

Die Argumentation des Landgerichts, es werde sich schon um die Bremsspur des Klägers handeln, schließlich sei nur diese Bremsspur vorhanden, vermag die bestehenden Zweifel nicht auszuräumen, da nicht feststeht, ob der Kläger überhaupt eine Bremsspur auf der Fahrbahn hinterlassen hat.

Das Landgericht beruft sich insofern auf die Ausführungen des Sachverständigen, ohne zu berücksichtigen, dass auch der Sachverständige lediglich Vermutungen (anhand der erst nachträglich gefertigten Unfallskizze und Fotos) zum konkreten Unfallhergang anstellen kann. Der Sachverständige hat die Unfallfahrzeuge nie gesehen. Dass seine auf diese Weise angestellten Vermutungen zum Unfallgeschehen nicht zutreffend sein müssen, hat der Sachverständige selbst eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Den in seinem schriftlichen Gutachten zunächst angenommenen Unfallablauf hat der Sachverständige nach der kritischen Prüfung des Klägers kurzerhand grundlegend geändert. Die letztlich vom Sachverständigen in der mündlichen Anhörung - aus dem Stand - gegebenen Einschätzungen und Berechnungen (mit Handtaschenrechner) halten einer kritischen Prüfung allerdings nicht Stand. Auffällig ist insbesondere der Widerspruch zu den Beobachtungen des Zeugen M…. Dieser hatte unmittelbar nach dem Unfall mehrfach ausgesagt, dass der Kläger keinen Kontakt mit dem PKW des Beklagten hatte. Dessen ungeachtet ging der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung davon aus, dass der Kläger in das Auto des Beklagten gerutscht sei und so die Beschädigungen am Auto verursacht habe. In seinem Gutachten hatte der Sachverständige auf Seite 9 noch geschrieben:

“Weiterhin sind die Beschädigungen an dem PKW B…. aufgrund der Höhenlage nur auf den Anstoß des auf der Seite liegenden Motorrades zurückzuführen”.

Wegen dieses Widerspruchs hatte der Kläger die Zuverlässigkeit der Annahmen des Sachverständigen ausdrücklich bezweifelt. Dennoch hat das Landgericht die geänderte Version, wonach der Kläger selbst – und nicht sein Motorrad - die Beschädigungen am Pkw des Beklagten zu 3) verursacht haben soll, als unstreitig im Tatbestand wiedergegeben. Über den Tatbestandsberichtigungsantrag wird am 25.11.2003 vor dem Landgericht verhandelt.

In gleicher Weise widersprüchlich ist die Annahme des Sachverständigen, dass die zugrunde gelegte Bremsspur zum, von ihm vermuteten, Ablauf des Unfalles passen könnte. Wenn der Sachverständige aus der Aussage des Zeugen M…, der Kläger habe sein Motorrad (stark) abgebremst, schlußfolgert, der Bremsvorgang müsse eine Bremsspur hinterlassen haben, begibt er sich in den Bereich der Spekulation. Es kann schließlich genauso wenig ausgeschlossen werden, dass der Kläger in der Absicht, dem unerwartet plötzlich vor ihm aufgetauchten Fahrzeug des Beklagten zu 3) auszuweichen, ohne sichtbare Bremsspur gebremst hat und mit kaum verminderter Geschwindigkeit in das Fahrzeug des Beklagten gerutscht ist.

Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.05.1999 hat der Zeuge M… unmittelbar nach dem Unfall die “mäßige Geschwindigkeit” des Klägers hervorgehoben. In der anschließenden Vernehmung vom selben Tage gab der Zeuge M… an, der Kläger sei ca. 30 km/h gefahren, er habe gebremst und versucht nach links auszuweichen. Hierbei sei er gestürzt. Diese Beobachtung des Zeugen M…, wonach der Kläger infolge des Ausweichmanövers gestürzt ist, widerspricht der Annahme des Sachverständigen, wonach der Sturz des Klägers zeige, dass er sehr stark abgebremst haben müsse, also auch eine Bremsspur verursacht habe. Auf Grundlage der Beobachtung des Zeugen M… hätte der Kläger wegen der ohnehin mäßigen Ausgangsgeschwindigkeit allerdings gebremst haben können, ohne eine Bremsspur zu hinterlassen, oder aber nur eine schwache, die angesichts der vordergründigen Spur nicht aufgenommen worden ist.

Beweis:             Sachverständigengutachten.

Wenig überzeugend ist die vom Landgericht unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen bemühte Schlußfolgerung, dass eine starke Abbremsung stattgefunden haben muß, die zu einer Blockierung des Vorderrades geführt hat, da andernfalls das Motorrad nicht umgefallen wäre. Der Zeuge M… hat hingegen in seiner Vernehmung am 19.05.1999 ausgesagt:

“Der Motorradfahrer bremste. Er versuchte, nach links auszuweichen und stürzte hierbei. Das Motorrad fiel auf die linke Seite und rutschte Richtung PKW und traf diesen in der Mitte der linken Seite.”

Von einer starken Bremsung ist keine Rede. Außerdem hat der Zeuge M… beobachtet, dass der Kläger infolge des Ausweichversuches stürzte. Auch dieser Widerspruch ist vom Landgericht nicht berücksichtigt worden.

Der Zeuge M… hat im übrigen mit keinem Wort erwähnt, dass der Kläger so stark gebremst habe, dass er eine Bremsspur hinterlassen habe.

Auch der Beklagte zu 3) hat in seiner Stellungnahme gegenüber der Amtsanwaltschaft vom 26.07.1999 lediglich erwähnt, dass er beim Einbiegen auf den Oederweg plötzlich einen dumpfen Schlag gehört habe. Von einem vorangehenden Quietschen der Reifen ist keine Rede.

Im übrigen ist nicht ersichtlich, wie das vom Zeugen M… beobachtete Ausweichen des Klägers nach links mit der Lage der Bremsspur in der Mitte der Fahrbahn in Einklang zu bringen ist. Der Kläger ist stets, wie unter Motorradfahrern üblich und angeraten, in der Mitte seiner Fahrbahn gefahren, so dass er sich bei einem erkennbaren Ausweichen nach links zumindest im Bereich des Mittelstreifens und darüber hinaus befunden haben müßte. Die streitgegenständliche Bremsspur befindet sich allerdings in der Mitte der Fahrbahn und weist einen mehr oder weniger geraden Verlauf aus. Damit ist nicht ersichtlich, wie sie zum beobachteten Ausweichen nach links passen könnte. Nach dem Verlauf der Bremsspur müßte der Kläger vielmehr gerade auf den Beklagten zu 3) zu gefahren sein. 

Das Landgericht hat die Argumentation des Sachverständigen übernommen, dass der Bremsvorgang des Klägers auf der hellen Fahrbahn eine Bremsspur hinterlassen haben müsse, da der Kläger nach der Aussage des Zeugen M… sein Motorrad stark abgebremst habe. Diese Schlußfolgerung ist wie oben bereits ausgeführt nicht zwingend. Im übrigen unterstellt sie, dass der Kläger mit erhöhter Ausgangsgeschwindigkeit gefahren ist. Dies wiederum widerspricht der Aussage des Zeugen M…, der mehrfach die mäßige Geschwindigkeit des Klägers betont hatte. Mit der Annahme eines starken Abbremsens aus überhöhter Geschwindigkeit und der dadurch notwendigen Spurenzeichnung des Bremsvorganges soll zunächst die Zuordnung der Bremsspur bewiesen sein, um das Vorhandensein der Bremsspur als Beweis für die hohe Ausgangsgeschwindigkeit heranziehen zu können. Diese Beweiskette beruht folglich auf der Ausgangsannahme einer hohen Ausgangsgeschwindigkeit die allerdings gerade nicht bewiesen ist, so dass der Versuch der dargestellten Beweisführung bereits im Ansatz scheitern muß.

1.4

Die gerichtliche Würdigung der Aussagen des Zeugen M… vermag nicht zu überzeugen. Das Landgericht geht mit keinem Wort auf die zeitlich viel näher nach dem Unfall aufgenommenen Aussagen des Zeugen M… ein, sondern folgt unkritisch ausgesuchten Angaben des Zeugen M…, die dieser in der gerichtlichen Vernehmung, zwei Jahre nach dem Unfall, gemacht hat. 

In der polizeilichen Vernehmung vom 19.05.1999 hat der Zeuge M… ausgesagt, ca. 30 km/h gefahren zu sein. Bereits am 12.05.1999 hatte der Zeuge M… ausweislich des Vermerks des POK K…. die “mäßige Geschwindigkeit” des Klägers hervorgehoben. Diese Aussage findet ihre Bestätigung in der polizeilichen Vernehmung vom 19.05.1999, in der der Zeuge M… ausgeführt hat:

“Ich fuhr in meinem Wagen (einem FIAT-Lieferwagen) mit ca. 30 km/h. Das Motorrad fuhr nicht viel schneller. Der Abstand vergrößerte sich nicht wesentlich”.

In der gerichtlichen Vernehmung am 22.11.2001 erklärte der Zeuge M…:

“Der Kläger entfernte sich zunächst etwas von mir, dann kam ich ihm vor der nächsten Einmündung wieder etwas näher. Ich bin höchstens 40 km/h gefahren. Ich hatte es nicht eilig, weil ich noch genügend Zeit hatte”.

Außerdem gab der Zeuge M… an, dass das Motorrad ca. 50 Meter vorausfuhr.

Auf Seite 4 des Protokolls schätzt der Zeuge M… die Entfernung zwischen Einmündung Glauburgstraße und Wolfgangstraße auf etwa 800 Meter.

Bei seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige die Entfernung mit etwa 110 Metern angegeben (Seite 7, 8). 

Es ist nicht nachvollziehbar, wie Sachverständige und Gericht aus diesen Angaben zuverlässig auf eine angeblich überhöhte Geschwindigkeit des Klägers schließen wollen.

Zunächst fällt auf, dass der Zeuge M… unmittelbar nach dem Unfall die mäßige Geschwindigkeit des Klägers ausdrücklich hervorgehoben hat. Daraus läßt sich zunächst einmal schließen, dass der Kläger gerade nicht dem allgemeinen Bild des rasenden Motorradfahrers entsprach. Am 19.05.1999 gab der Zeuge M… an, mit ca. 30 km/h gefahren zu sein. Zwei Jahre später erinnert er sich, höchstens 40 km/h gefahren zu sein. Der Schluß des Landgerichts, wonach es als eher unwahrscheinlich anzusehen sei, dass auf einer stark befahrenen innerstädtischen Straße der Fahrer eines Kraftfahrzeuges eine Geschwindigkeit von nur 30 km/h einhält, wenn er nicht weiß, dass eine entsprechende Geschwindigkeitsbegrenzung vorgeschrieben ist, ist alles andere als zwingend. Das Gericht berücksichtigt insbesondere nicht, dass es sich bei dem Wagen des Zeugen M… um einen Lieferwagen handelte, der zunächst aus dem Stand vor der roten Ampel beschleunigen mußte, um dann nach links auf den Oederweg einzubiegen. Angesichts einer Gesamtentfernung zwischen Ampel und Unfallkreuzung von ca. 110 Metern, dem eher unter-tourig fahrenden Zeugen M…, der es zudem nicht eilig hatte, spricht vielmehr alles dafür, dass der Zeuge M… tatsächlich sehr langsam, d. h. mit ca. 30 km/h, gefahren ist.

Am 19.05.1999 hat der Zeuge M… angegeben, dass das Motorrad nicht viel schneller gefahren sei, und sich der Abstand nicht wesentlich vergrößert habe. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Motorräder allgemein eine erheblich bessere Beschleunigung aus dem Stand aufweisen, als PKW´s, insbesondere als Lieferwagen, kann aus der Angabe, der Abstand habe sich nicht wesentlich vergrößert, nur geschlossen werden, dass der Kläger zwar schneller angefahren, dann jedoch mit mäßiger Geschwindigkeit auf dem Oederweg gefahren sein muß. In diesem Sinne ist auch die Aussage des Zeugen M… vor Gericht zu verstehen, wonach er dem Kläger sogar wieder etwas näher gekommen sei. Dies kann nur dann passieren, wenn der Kläger langsamer als der Zeuge M… gefahren ist. Wieviel langsamer der Kläger gefahren ist, kann nur vermutet werden. Bei neutraler Betrachtung der Aussage des Zeugen M… läßt diese jedenfalls nicht den Schluß zu, dass der Kläger schneller als 30 km/h gefahren ist.

1.5

Anstatt die Aussage des Zeugen M… ernst zu nehmen, folgt das Gericht unkritisch den Rechnungen des Sachverständigen (Seite 7-unten-/Seite 8 –oben-). Diese Berechnung scheint jedoch mehr als vage. Der Berechnung liegt die Entfernungsangabe des Zeugen M… zugrunde, wonach das Motorrad nach dem Anfahren ca. 50 Meter vorausgefahren sei. Nachdem der Zeuge M… die gesamte Entfernung zwischen Ampel und Unfallkreuzung auf 800 Meter, statt richtiger Weise auf 110 Meter, geschätzt hat, hätte das Gericht diese Entfernungsangabe nicht ohne weiteres übernehmen dürfen. Ein Abstand von 50 Metern hätte bedeutet, dass das Motorrad bereits die Hälfte der gesamten Entfernung an Vorsprung herausgeholt gehabt hätte. Dies verträgt sich aber nicht mit der Einschätzung des Zeugen M…, dass das Motorrad mit nur mäßiger Geschwindigkeit gefahren sei, nicht viel schneller als er und der Abstand sich nicht wesentlich vergrößert habe. Es hätte vielmehr nahegelegen, die Abstandsangabe von 50 Metern in Bezug zu der geschätzten Gesamtentfernung von 800 Metern zu setzen und daraus den Schluß zu ziehen, dass sich der Zeuge M… der Einschätzung des Abstandes sehr wahrscheinlich verschätzt hat, und der Abstand eher 15 bis 20 Meter, jedenfalls aber keine 50 Meter betragen hat.

Auch der weiteren Herleitung einer angeblichen Geschwindigkeitsdifferenz zwischen dem Zeugen M… und dem Kläger von mindestens 30% (Seite 8 oben) fehlt jede Überzeugungskraft. Zunächst geht der Sachverständige lediglich von eigenen Durchschnittsmessungen aus, die nicht ohne weiteres auf die streitgegenständlichen Fahrzeuge übertragen werden können. Außerdem ist nicht ersichtlich, dass der Sachverständige die unterschiedlichen Verzögerungs- und Beschleunigungswerte beim Anfahren von Motorrad einerseits und Transporter andererseits in irgendeiner Weise berücksichtigt hat. Angesichts dieser Unklarheiten hätte das Gericht die Angabe der 30%-igen Geschwindigkeitsdifferenz nicht unkritisch übernehmen dürfen. Insbesondere ist eine derart ungenaue Berechnung nicht geeignet, die sehr viel plausibleren Angaben des Zeugen M… aus der Welt zu schaffen.

Beweis:                         Sachverständigengutachten.

1.6

Im Ergebnis durfte das Landgericht daher nicht von einem Geschwindigkeitsübertritt des Klägers ausgehen. Demzufolge durfte das Gericht auch nicht darauf schließen, dass der Kläger notwendiger Weise eine Bremsspur auf der Fahrbahn hinterlassen hat.

1.7

Das Landgericht stellt des weiteren fest, dass der Kläger den Unfall hätte vermeiden können, wenn er mit 30 km/h gefahren wäre. Zur Begründung  nimmt das Landgericht auf Seite 16 des Urteils lediglich mit einem Satz auf die angeblich “überzeugenden Ausführungen” des Sachverständigen Bezug. Dem Gutachten des Sachverständigen (S. 12) ist zu entnehmen, dass dieser seine Ausführungen zur Vermeidbarkeit des Unfalls entscheidend auf die “Spurenzeichnung” stützt, wonach der Weg-Zeit-Verlauf des Motorrades in “engen Grenzen bekannt” sei. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall. Der Sachverständige durfte seinen Vermeidbarkeitsüberlegungen die Bremsspur aufgrund der aufgezeigten Ungewissheiten, nicht zu Grunde legen. Das Landgericht hätte diesen Fehler zum Anlaß nehmen müssen, dass zuverlässige Feststellungen zur Vermeidbarkeit des Unfalls durch den Kläger nicht möglich sind, also nicht feststeht, ob der Unfall mit 30 km/h hätte vermieden werden können.        

1.8

Im Ergebnis bleibt folgendes festzuhalten:

Es ist völlig ungewiß, ob die im Wege der nachträglichen Unfallaufnahme von den Polizeibeamten festgestellte Bremsspur vom Kläger herrührt. Auch der Unfallablauf im übrigen ist ungewiß.

Der Kläger kann sich infolge seiner Verletzung an nichts mehr erinnern, einziger Zeuge ist der Zeuge M…, dessen Aussagen (insbesondere diejenigen unmittelbar nach dem Unfall) darauf schließen lassen, dass der Kläger nicht gerast ist, sondern mit mäßiger Geschwindigkeit, sogar langsamer als der nicht in Eile und üblicherweise untertourig gefahrene Lieferwagen des Zeugen M… gefahren ist, der mit ca. 30 km/h, jedenfalls nicht schneller als mit 40 km/h unterwegs war.

Wegen der “Abräumaktion” des Beklagten zu 3) fand eine ordnungsgemäße Unfallaufnahme durch die Polizei nicht statt und war auch nicht möglich.

Die Ausführungen des Sachverständigen leiden erheblich darunter, dass der konkrete Ablauf des Unfallgeschehens völlig unklar geblieben ist. Auch aus diesem Grund ist der Sachverständige gezwungen, seiner Berechnung der Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers sowie seinen Überlegungen zur Vermeidbarkeit ungewisse und nicht bewiesene Annahmen zugrunde zu legen. Die mit diesem Vorgehen verbundene Unsicherheit ist nicht geeignet, einen Geschwindigkeitsübertritt des Klägers zu beweisen.

Demnach hätte das Gericht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die aufgezeigten Widersprüche und Ungewißheiten, die wesentlich vom Beklagten zu 3) verschuldet sind, der endgültigen Feststellung eines kausalen Verursachungsbeitrages des Klägers am Unfall entgegenstehen. 

2. Fehlerhafte Abwägung der Verursachungsbeiträge (§ 17 Abs. 1 Satz StVG a. F.)

Selbst wenn man mit dem Landgericht dennoch davon ausgeht, dass kein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG a.F anzunehmen sei und dem Kläger unterstellt, er sei mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von 40 km/h gefahren, würde dies den Beklagten zu 3) nicht entlasten.

2.1

Das Landgericht hat zunächst zutreffend festgestellt, dass der – angenommenen – Geschwindigkeitsüberschreitung um 10 km/h ein gravierendes unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 3) gegenübersteht.

Insbesondere stehe fest, dass der Beklagte zu 3) aufgrund der Örtlichkeiten den Kläger hätte erkennen können.

Das Landgericht führt weiter zutreffend aus, dass bei der – angenommenen – Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu berücksichtigen sei, dass die Überschreitung in einem Bereich lag, in dem auch die eingehaltene Geschwindigkeit subjektiv meist noch als niedrig empfunden wird.

Weiterhin erkennt das Landgericht zutreffend, dass es sich bei dem Oederweg um eine stark befahrene innerstädtische Straße handelt, auf der sich auch Durchgangsverkehr bewegt, so dass der Beklagte zu 3) durchaus damit rechnen mußte, dass auf der Vorfahrtsstraße befindliche Verkehrsteilnehmer schneller als 30 km/h fahren würden. Trotz dieser vom Landgericht zugunsten des Klägers zu gewichtenden Umstände kommt das Landgericht überraschend dennoch zu dem Ergebnis, dass die – unterstellte – Geschwindigkeitsüberschreitung um 10 km/h (40 km/h statt 30 km/h) als nicht unerheblich zu bewerten sei, was letztlich zur Feststellung eines 30%-igen Mitverschuldens des Klägers führt.

2.2

Angesichts der vorangegangenen Beschreibung der konkreten Verkehrssituation ist diese für den Kläger extrem nachteilige Bewertung durch das Landgericht so nicht nachvollziehbar. Letztendlich hat das Landgericht ungeachtet der besonderen Verkehrssituation den Verursachungsbeitrag des Klägers entsprechend der angenommenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 33% mit 30% bewertet. Trotz der eindeutig zu Lasten des Beklagten begründeten Abwägung zieht sich das Landgericht im Ergebnis auf eine völlig unangemessene “Prozentregel” zurück, wonach es die Haftungsquote entsprechend dem prozentualen Geschwindigkeitsübertritt des Klägers ermittelt. Eine derartige Prozentregel existiert jedoch gerade nicht, da sie der vom BGH geforderten genauen Betrachtung der konkreten Verkehrssituation im zu entscheidenden Einzelfall nicht gerecht werden kann ( vgl. BGH NJW 1984, 1962, 1963). Statt eine mit den zunächst genannten konkreten Verkehrsumständen in Einklang stehende, nachvollziehbare Begründung zu liefern, behilft sich das Landgericht mit der floskelhaften Formulierung:

“Dennoch ist der Verstoß des Klägers insgesamt nach Auffassung der Kammer nicht unerheblich, wie auch die hierdurch erhöhte Betriebsgefahr seines Motorrades nicht mehr außer Betracht bleiben kann.”

Von einer ausgewogenen Abwägungsentscheidung i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 StVG a. F. kann daher keine Rede sein.

2.3

Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt steht damit in krassem Widerspruch zur Entscheidung des

OLG Nürnberg (ZFS 1986, 65, 66)

– für das Gericht in Kopie in der Anlage beigefügt-),

das in einem sehr ähnlichen Fall, in dem einem Autofahrer auf einer übersichtlichen Hauptstraße bei klaren Sichtverhältnissen auf die gleiche Weise die Vorfahrt genommen wurde, dem Vorfahrtsberechtigten trotz eigener Geschwindigkeitsüberschreitung um 30% (65 km/h statt 50 km/h) kein Mitverschulden anlastete. Das OLG Nürnberg führte in seiner Entscheidung aus, dass dem dortigen Beklagten zumutbar gewesen sei, eine Geschwindigkeitsüberschreitung in diesem Umfang zu berücksichtigen. Weiter heißt es, dass dem auf der Vorfahrtstraße Fahrenden trotz der eigenen Verkehrsübertretung sein Recht gegenüber dem Haltepflichtigen nicht verloren gehe. Der Bevorrechtigte habe in dieser Verkehrssituation darauf vertrauen dürfen, dass der Haltepflichtige seiner Haltepflicht genügen würde. Das Verschulden des Haltepflichtigen wurde als so beachtlich bewertet, dass es gerechtfertigt erschien die Betriebsgefahr auf Seiten des Bevorrechtigten aus Ansatz zu lassen.

2.4

Auch im vorliegenden Fall stellt sich bei genauer Betrachtung der konkreten Verkehrssituation unter Berücksichtigung vernünftiger Verkehrsauffassung das Fahren auf dem Oederweg mit - unterstellten- 40 km/h statt 30 km/h als eine geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung dar, mit der der Beklagte zu 3) rechnen mußte und die  daher im Hinblick auf die Bewertung des Verschuldens des Beklagten zu 3) außer Ansatz bleiben muß. Der vom Landgericht allein genannte relativierende Aspekt, wonach die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h der Verkehrssituation eine Hauptstraße mit vielen nicht ampelgeregelten Einmündungen entspreche, ist nicht geeignet, die Abwägung zu Lasten des Klägers zu beeinflussen. Wenn das Landgericht zuvor zutreffend festgestellt hat, dass der Beklagte zu 3) wegen des besonderen Charakters des Oederwegs als stark befahrener innerstädtischer Straße mit Durchgangsverkehr, mit Geschwindigkeitsüberschreitungen vorfahrtberechtigter Verkehrsteilnehmer rechnen mußte (insbesondere 40 statt 30 km/h) und zudem den Kläger erkennen konnte, kann es keine Rolle spielen, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung möglicherweise sachgerecht ist. Da der Kläger für den Beklagten zu 3) gut sichtbar war, mußte der Kläger nicht damit rechnen, dass ihm die Vorfahrt genommen werden würde. Er durfte vielmehr darauf vertrauen, dass seine der Beklagte seiner unbedingten Wartepflicht (Stoppschild) entsprechen würde, und zwar unabhängig von 30 oder 40 km/h

Jedenfalls entspricht der Oederweg nicht der typischerweise auf 30 km/h begrenzten Straße.

Beweis:             Ortsbesichtigung.

Tatsächlich waren bzw. sind in der Regel selbst ortskundige Fahrer von der ungewöhnlichen Geschwindigkeitsbegrenzung am Oederweg überrascht. Dies trifft nach eigener Aussage auf den Sachverständigen genauso zu, wie auf den Zeugen M…, der in der gerichtlichen Zeugenvernehmung ausdrücklich erklärte:

“Ich wußte aber gar nicht, dass in dem Bereich eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h herrscht”.

Entsprechend dieser Wahrnehmung als überraschend niedrige Geschwindigkeitsbegrenzung dürfte der Oederweg in der Verkehrspraxis üblicherweise mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von mindestens 40 km/h bis 50 km/h befahren sein. 

Beweis:             Sachverständigengutachten. 

Dem mit Schriftsatz vom 23.10.2002 vorgelegten Bericht des PK R… vom 27.09.2002 ist dementsprechend zu entnehmen:

“Die Straße (Oederweg) ist gut ausgebaut und verführt daher die Verkehrsteilnehmer zu Geschwindigkeitsüberschreitungen. Aus diesem Grund wurden an verschiedenen Stellen des Oederwegs öfter Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt”

2.5

Wenn das Landgericht den besonderen Charakter des Oederwegs als viel befahrene Einfallstraße nicht nur erkannt, sondern auch im Rahmen der Abwägung berücksichtigt hätte, hätte es zum Ergebnis kommen müssen, dass eine Belastung des Klägers mit einer Haftungsquote von 30% im krassen Mißverhältnis zur Geringfügigkeit der kaum merklich wahrnehmbaren – unterstellten – Geschwindigkeitsüberschreitung um 10 km/h steht. Das Landgericht vermag nicht zu begründen, warum es die geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung im niedrigen Geschwindigkeitsbereich als erheblich ansieht, und zwar so erheblich, dass sie geeignet sein soll, dem Beklagten zu 3) sogar zu 30% von seinem überaus gravierenden Verkehrsverstoßes zu entlasten. Schließlich wäre der Kläger selbst mit 40 km/h keinesfalls schneller gefahren, als es dem üblichen Verkehrsfluß auf dem Oederweg entspricht.

2.6

In diesem Zusammenhang hat das Landgericht überdies übersehen, dass der Sachverständige in seinem Gutachten (Seite 13) festgestellt hat, dass der Beklagte zu 3) “mit seinem Pkw ohne deutliches Anhalten in die Wolfsgangstraße (gemeint: Oederweg) eingebogen ist.” Der Kläger wäre allerdings aufgrund des Stoppschildes verpflichtet gewesen an der Haltelinie stehen zu bleiben. Ein kurzes verlangsamen der Geschwindigkeit genügt in diesem Sinne nicht. Daraus ist zu schließen, dass der Beklagte zu 3) sich mindestens grob fahrlässig verhalten hat, was im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 StVG ein derart überwiegendes Verschulden darstellt, das der – angenommene – geringfügige Verkehrsverstoß sowie die Betriebsgefahr des Klägers erstrecht vollständig dahinter zurückbleiben muß.

In seiner Vernehmung vom 19.05.1999 hat der Zeuge M… diesbezüglich ausgesagt:

“Er fuhr dort raus. Ob er vorher gestanden oder abgebremst hat, kann ich nicht beurteilen.”

Der erst zwei Jahre später im Rahmen der gerichtlichen Vernehmung gemachten Aussage (Seite 2), wonach der Kläger kurz abgestoppt habe und dann wieder losgefahren sei, kommt daher kein erheblicher Beweiswert zu.

Hierauf ist das Landgericht im Rahmen der Abwägung überhaupt nicht eingegangen. Lediglich im Zusammenhang mit der Begründung des Schmerzensgeldes wird vom Landgericht unkritisch unterstellt, der Beklagte sei nach den Bekundungen des Zeugen M… nicht ohne Anzuhalten in den Oederweg eingebogen.

2.7

In seiner eigenen Stellungnahme vom 26.07.1999 gegenüber der Amtsanwaltschaft hat der Beklagte zu 3) schließlich uneingeschränkt eingeräumt, den Unfall selbst verschuldet zu haben. Er habe sich auf einen aus der gegenüberliegenden Straße kommenden Pkw konzentriert und sei (trotz Stoppschild) “ohne einen weiteren nötigen Blick nach links” in den Oederweg eingefahren. Auch dieses uneingeschränkte Schuldeingeständnis des Beklagten zu 3) läßt das Landgericht beim Abwägen der Verursachungsbeiträge völlig unberücksichtigt.

2.8

Im Ergebnis ist die Begründung des Landgerichts einer 30%-tigen Haftungsquote zu Lasten des Klägers nicht nachvollziehbar. Unter den konkreten Umständen durfte sich der Beklagte zu 3) auch durch eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 10 km/h nicht irritieren lassen. Wenn das Landgericht feststellt, dass der Beklagte zu 3) mit einer derartigen Geschwindigkeitsüberschreitung des Vorfahrtberechtigten rechnen mußte, und auch sonst keine entlastenden Umstände zugunsten des Beklagten zu 3) erkennbar sind, hätte das Landgericht das Verschulden des Beklagten als so beachtlich bewerten müssen, dass es gerechtfertigt ist, die Betriebsgefahr des klägerischen Motorrades außer Ansatz zu lassen.

Die Annahme einer 30%-tigen Haftungsquote zu Lasten des Klägers ist daher erkennbar abwägungsfehlerhaft und völlig überzogen.

3. Schmerzensgeld

Infolge der rechtsfehlerhaften Annahme eines 30%-tigen Mitverschuldens des Klägers hat das Landgericht lediglich einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von € 125.266,51 (DM 245.000,00) für angemessen erachtet. Damit hat das Landgericht den an sich für angemessen gehaltenen Betrag in Höhe von DM 350.000,00 lediglich zu 70% zugesprochen. Mangels Mitverschuldens des Klägers macht der Kläger mit der Berufung den vom Landgericht zu unrecht gekürzten Schmerzensgeldbetrag geltend. Ohne Berücksichtigung der rechtsfehlerhaft angenommenen Haftungsquote von 30% rechtfertigt die vom Kläger erlittene erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung ein weiteres Schmerzensgeld, das DM 105.000,00 (€ 53.685,64) nicht unterschreiten sollte. 

4. Schmerzensgeldrente

Die vom Kläger erlittenen schwersten Gesundheitsschäden rechtfertigen außerdem die Zuerkennung einer zusätzlichen Schmerzensgeldrente. Entgegen der Ansicht des Landgerichts verbleibt auch neben dem vom Landgericht für angemessenen gehaltenen Kapitalbetrag ausreichend Raum für die Gewährung einer zusätzlichen Rente. Insofern ist schließlich zu berücksichtigen, dass der im Unfallzeitpunkt 40-jährige, vitale und aktive Kläger infolge des Unfalles lebenslänglich anhaltende massive Beeinträchtigungen erlitten hat, die seine Lebensqualität tagtäglich und auf Dauer belasten.

Der Kläger hat ständig Schmerzen in den Beinen zu ertragen, ist dauerhaft an den Rollstuhl gebunden, leidet an einer dauerhaften Geruchsstörung, hat die Unannehmlichkeiten einer neurogenen Blasen- und Darmentleerungstörung zu ertragen. Jede dieser Beeinträchtigungen stellt bereits für sich genommen eine überaus einschneidende Gesundheitsbeeinträchtigung dar. In ihrer Gesamtheit ergeben sie eine extreme Belastung der Lebensqualität des Klägers, die seinen Lebensmut täglich aufs Neue herausfordert.

Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Schmerzensgeldrente neben einem Schmerzensgeld in Kapitalform sind damit gegeben (vgl. OLG Frankfurt, JZ 1978, 526; Versicherungsrecht 1992, 621; OLG Hamm Versicherungsrecht 90, 865).

5. Schadensersatz 

Der Kläger macht mit der Berufung die infolge der zu unrecht vom Landgericht Frankfurt angesetzten Haftungsquote abgezogenen restlichen 30% der jeweiligen Ansprüche dem Grunde nach geltend. Im Ergebnis stehen dem Kläger damit dem Grunde nach ungekürzter Schadensersatz (100%) zu.

6. Feststellungsanträge

a) Hinsichtlich des bisher nicht bezifferten materiellen Schadensersatzes macht der Kläger mit der Berufung geltend, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, nicht nur die vom Landgericht festgestellten 70 Prozent, sondern darüber hinaus weitere 30 Prozent, also insgesamt 100 Prozent, zu ersetzen. Die vom Landgericht vorgenommene Kürzung um 30% ist mangels eines Mitverschuldens des Klägers nicht gerechtfertigt.

b) Hinsichtlich weiterer immaterieller künftiger Schäden macht der Kläger mit der Berufung geltend, festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, nicht nur die vom Landgericht festgestellten 70 Prozent, sondern darüber hinaus weitere 30 Prozent, also insgesamt 100 Prozent, zu ersetzen. Die vom Landgericht vorgenommene Kürzung um 30% ist mangels eines Mitverschuldens des Klägers nicht gerechtfertigt.

Im übrigen nehmen wir ausdrücklich auf unseren gesamten erstinstanzlichen Vortrag einschließlich sämtlicher Beweisangebote Bezug.

Nach alledem ist das Teil- und Grundurteil des Landgericht Frankfurt wie beantragt abzuändern.

Sollte das Gericht weiteren Vortrag des Klägers für erforderlich halten wird um einen richterlichen Hinweis gemäß § 139 ZPO gebeten.

 

Dr. B…, Rechtsanwalt