17 U 167/03

 

 

                         OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

 

                                  IM NAMEN DES VOLKES

 

                                                 URTEIL

 

 

 

 

 

 

In dem Rechtsstreit

des Herrn Kriminaloberkommissars a. D. Robert Hering, 61137 Schöneck,

                                                                      Kläger, Berufungskläger und

                                                                      Anschlussberufungsbeklagter,

 

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. B...., 60313 Frankfurt am Main,     

 

                   gegen

 

1. Haftpflicht-Unterstützungs-Kasse kraftfahrender Beamter Deutschlands AG in Coburg  (HUK Coburg  vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorstandssprecher Rolf-Peter H….., 96442 Coburg,

 

2. Frau Regina B…. , (Fahrzeughalterin)

    Frankfurt am Main,

 

3. Herrn Günther B…. , (Fahrzeugführer)

    Frankfurt am Main,

 

                                                                       Beklagte, Berufungsbeklagte

                                                                       und Anschlussberufungskläger,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwälte P…………….., Ffm,

 

 

hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main

 

durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht F….,

Richterin am Oberlandesgericht L….

und Richterin am Oberlandesgericht H…….

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2004

für  R e c h t  erkannt:

 

Auf die Berufung des Klägers wird das am 17.07.2003 verkündete Grund- und Teilurteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

 

Die Beklagten zu 1. und 3. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger unter Berücksichtigung eines bereits anerkannten und gezahlten Betrages von 76.693,78 Euro (150.000,-- DM) ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 127.822,97  (250.000,-- DM) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz, und zwar der Beklagte zu 3. ab 16.09.2000 und die Beklagte zu 1. ab 18.09.2000, zu zahlen.

 

Hinsichtlich der Klageanträge zu 3., 4., 5. und 7. ist die Klage mit einer Haftungsquote der Beklagten von 100 % dem Grunde nach gerechtfertigt mit der Maßgabe, dass eine weitere Akontozahlung in Höhe von 23.934,86  Euro (46.812,52 DM) in Abzug zu bringen ist.

 

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger bisher nicht bezifferten materiellen Schadensersatz aus dem Verkehrsunfallereignis vom 28.04.1999 zu 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche des Klägers nicht gemäß § 116 SGB X auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen.

 

Es wird ferner festgestellt, dass die Beklagten zu 1. und 3. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger weiteren immateriellen künftigen Schaden aus dem Unfallereignis vom 28.04.1999 zu 100% zu ersetzen, soweit dessen Eintritt zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 06.05.2003 nicht vorhersehbar war.

 

Die Berufung der Beklagten gegen das am 17.07.2003 verkündete Grund- und Teilurteil der 18. Zivilkammer des

Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

 

Von den Kosten der Berufung haben der Kläger 1/5 und die Beklagten 4/5 zu tragen.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Sowohl dem Kläger als auch den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines Betrages von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Gegner zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Gründe:

 

Mit der Berufung wendet sich der Kläger im Ergebnis gegen die Kürzung seiner Schadensersatzansprüche aus dem Verkehrsunfallereignis vom 28.04.1999 um 30 % dem Grunde nach und erstrebt nach wie vor eine Verurteilung der Beklagten zu 100 %, wobei er die Abweisung seiner gegen die Beklagte zu 2. gerichteten Klage akzeptiert, soweit er auch von ihr Ersatz seines immateriellen Schadens verlangt hat.

Mit der Berufung gegen das Grund- und Teilurteil erstrebt der Kläger neben der Feststellung einer 100%igen Haftung der Beklagten die Zahlung eines weiteren angemessenen Schmerzensgeldes.

Soweit er sich mit der Berufung gegen die Abweisung seines Antrages auf Zahlung einer angemessenen Schmerzensgeldrente gewendet hat, ist die Berufung auf den Hinweis des Senats durch Beschluss vom 06.01.2004 durch Schriftsatz vom 21.02.2004 zurückgenommen worden.

Die Beklagten verfolgen mit der Berufung ihren Antrag auf Abweisung der Klage hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs in vollem Umfang weiter und wenden sich gegen ihre Verurteilung dem Grunde nach, soweit eine Verpflichtung zum Schadensersatz über eine Quote von 60% hinaus zugesprochen wird, gehen also weiterhin von einem 40%igen Mitverschuldens- und Mitverursachungsanteil des Klägers am Unfallgeschehen aus.

Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen, der in Verbindung mit dem Beschluss vom 25.11.2003, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (BI. 566-568 d. A.), den Sach- und Streitstand sowohl hinsichtlich des Unfallgeschehens als auch dessen Folgen für der Kläger sorgfältig und umfassend darstellt.

Das Landgericht hat durch Grund- und Teilurteil vom 17.07.2003 dem Kläger über bereits anerkannte und gezahlte 150.000,-- DM hinaus ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 48.572, 73  (= 95.000,-- DM) zuerkannt, den Antrag auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes und der Schmerzensgeldrente dagegen abgewiesen. Auch wegen der übrigen Anträge ist das Landgericht von einer Haftungsquote der Beklagten von 70% dem Grunde nach ausgegangen.

 

Dabei legte das Landgericht die Feststellungen des Sachverständigen K.......... in vollem Umfang zugrunde, dass der Kläger bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sein Motorrad noch so rechtzeitig durch Abbremsen hätte zum Stillstand bringen können, dass es nicht zu einem Sturz des Klägers und einer Berührung mit dem vom Beklagten zu 3. gelenkten Mazda gekommen wäre. In einer umfassenden Abwägung mit dem gravierenden unfallursächlichen Verschulden des Beklagten zu 3. gemäß § 8 StVO gelangt das Landgericht so zu einer Haftungsverteilung von 70 zu 30% zu Lasten der Beklagten, wobei der gegen die Beklagte zu 2. gerichtete Schmerzensgeldanspruch in vollem Umfang abgewiesen wurde. Das Landgericht hielt dabei insgesamt einen Schmerzensgeldbetrag von 350.000,-- DM für angemessen und gelangt bei 70%iger Haftung zu einem Betrag von 245.000,-- DM, wovon 150.000,- DM von der Beklagten zu 1. bereits bezahlt sind.

 

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

 

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen die Kürzung seiner Schadensersatzansprüche um je 30 %. Er vertritt die Auffassung, eine angebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers von 10 km/h sei nicht nur rechtsfehlerhaft unterstellt, sondern auch überbewertet worden. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung baue darauf auf, dass die von der Polizei festgehaltene Brems-/Blockierspur vom Motorrad des Klägers stamme. Der Sachverständige habe aber sämtliche Aussagen vorbehaltlich der Annahme getroffen, dass die Bremsspur tatsächlich dem Kläger zuzurechnen sei.

Weil der Beklagte zu 3. aber vor Eintreffen der Polizei durch Entfernung sowohl des Motorrades von der Fahrbahn als auch seines Fahrzeuges von der Fahrbahn eine zuverlässige Unfallaufnahme verhindert habe, die Bremsspur erst vier Stunden nach dem Unfallereignis von den unfallaufnehmenden Polizeibeamten ausgemessen worden sei und auch keine Untersuchung des Reifens des Motorrades stattgefunden habe, stehe nicht fest, ob das vom Kläger gesteuerte Motorrad überhaupt eine Bremsspur hinterlassen habe. Auch der Zeuge M... habe derartiges nicht bestätigen können. Zudem habe der Sachverständige Dr.-Ing.  K......... den in seinem schriftlichen Gutachten zunächst angenommenen Unfallablauf dann bei dessen mündlicher Erläuterung vor dem Landgericht kurzerhand grundlegend geändert. Die anlässlich der mündlichen Erläuterung des Gutachtens zu Protokoll festgehaltenen Feststellungen des Sachverständigen stünden aber im Widerspruch zu der Aussage des Zeugen M..., wonach kein Kontakt des Körpers des Klägers mit dem Pkw stattgefunden habe und der Sturz des Klägers auf das Ausweichmanöver zurückzuführen sei. Im übrigen sei die Abwägung der Verursachungsbeiträge beider Unfallkontrahenten fehlerhaft. Bei genauer Betrachtung der konkreten Verkehrssituation unter Berücksichtigung vernünftiger Verkehrsauffassung stelle sich das Fahren auf dem Oederweg mit unterstellten und nach wie vor bestrittenen 40 km/h statt 30 km/h als eine geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung dar, mit der der Beklagte zu 3. habe rechnen müssen, und die daher im Hinblick auf die Bewertung des Verschuldens des Beklagten zu 3. außer Ansatz zu bleiben habe.

 

Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Abänderung des am 17.07.2003 verkündeten Grund- und Teilurteils des Landgerichts

Frankfurt am Main

 

 1. die Beklagten zu 1. und 3. als Gesamtschuldner zu verurteilen, ein weiteres, angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, das jedoch 53.685,64  (105.000,-- DM) nicht unterschreiten sollte, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, und zwar für den Beklagten zu 3. ab dem 16.09.2000 und dem Beklagten zu 1. ab dem 18.09.2000;

 

2. festzustellen, dass die Klage hinsichtlich der Klageanträge zu 3., 4., 5. und 7. dem Grunde nach mit einem weiteren Haftungsanteil der Beklagten von 30 %, also insgesamt zu 100 %, gerechtfertigt ist;

 

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger bisher nicht bezifferten materiellen Schadensersatz aus dem Verkehrsunfallereignis vom 28.04.1999 zu weiteren 30 %, also insgesamt zu 100 %, zu ersetzen, soweit die Ansprüche des Klägers nicht gemäß § 116 SGB X auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen;

 

4. festzustellen, dass die Beklagten zu 1. und 3. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger

weiteren immateriellen künftigen Schaden aus dem Unfallereignis vom 28.04.1999 zu weiteren     

30 %, also insgesamt zu 100 %, zu ersetzen.

 

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen, sowie auf die Anschlussberufung der Beklagten unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17.07.2003 die Klage insoweit abzuweisen, als dem Kläger ein Schmerzensgeld zugesprochen wurde, im Übrigen die Feststellung zur Verpflichtung zum Schadensersatz über eine Quote von 60% hinaus zugesprochen wird.

Der Kläger beantragt,                                                                                                                                                  die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Mit der Berufung machen die Beklagten geltend, es liege ein Mitverschuldensanteil des Klägers von 40 % vor. Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens gehen sie von einer Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers von mindestens 43 km/h, und damit 43,33 %, aus.

Im Übrigen verteidigen sie das angefochtene Urteil.

                                                                                 

                                                                       II.

Sowohl die Berufung des Klägers als auch die Anschlussberufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In Sache hat aber nur das Rechtsmittel des Klägers Erfolg und führte zu einer teilweisen Abänderung des angefochtenen Urteils.

 

Die Beklagten haften dem Kläger als Gesamtschuldner dem Grunde nach auf 100 % des ihm aufgrund des Unfalls vorn 28.04.1999 entstandenen Schadens nach §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 i. V. m. § 8 Abs. 2 S. 2, Abs. 1 StVO, §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG a. F., § 3 Abs. 1, S. 1 PflVersG, dabei die Beklagten zu 1. und 3. auch nach § 847 BGB.

 

Hinsichtlich des Ablaufs des Verkehrsunfallgeschehens vom 28.04.1999 im Oederweg in Frankfurt am Main schließt sich der Senat der Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils an, die im Ergebnis nicht mit Erfolg mit der Berufung angegriffen werden kann.

 

Zwar hat der Kläger zutreffend Widersprüche zwischen den Feststellungen des Sachverständigengutachtens und der Unfallschilderung in der Aussage des Zeugen M… aufgezeigt, sowohl betreffend des vom Zeugen M… geschilderten Ausweichmanövers des Klägers nach links, das durch die schnurgerade Blockierspur gerade nicht dokumentiert ist, als auch hinsichtlich der Frage eines Körperkontaktes des Klägers mit dem vom Beklagten zu 3. gesteuerten Pkw. Die Feststellungen des Sachverständigen zur Näherungsgeschwindigkeit des vom Kläger geführten Motorrads stehen und fallen mit der Frage, ob die von den unfallaufnehmenden Polizeibeamten erst vier Stunden nach dem Unfallereignis, als die schweren Unfallfolgen für den Kläger dem Polizeirevier mitgeteilt wurden, ausgemessene Brems-/Blockierspur überhaupt vom Motorrad des Klägers herrührt oder dies nicht der Fall ist.

 

Der Senat kann aber diesen Abweichungen zwischen den Feststellungen des Gerichtsgutachters und dem Unfallverlauf, wie er sich nach der Aussage des Zeugen M… darstellt, nicht dem vom Kläger gewünschten Stellenwert zumessen, dass hier die Zurechnung der von der Polizei vier Stunden nach dem Unfall ausgemessenen Brems-/Blockierspur zu diesem Unfallgeschehen allzu fraglich ist und zur Beurteilung des Unfallgeschehens nur die Zeugenaussage M… herangezogen werden darf. Der Zeuge M… hat ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 22.11.2001 bei seiner uneidlichen Vernehmung vor der 18. Zivilkammer bekundet, er habe ziemlich stark abbremsen müssen, um nicht in den Unfall verwickelt zu werden (Seite 4 des Protokolls = BI. 276 d. A.), und habe auch noch in den Rückspiegel geschaut, um den nachfolgenden Verkehr nicht zu gefährden (Seite 2 des Protokolls = BI. 274 d. A.). Da der Zeuge M… sich nicht in vollem Umfang auf das sich abzeichnende Unfallgeschehen konzentrieren konnte, relativiert das seine Aussagen hinsichtlich des Unfallhergangs. Er musste aktiv werden, um nicht ebenfalls in das Unfallgeschehen verwickelt zu werden.

 

Ansonsten haben sich hier keine Anhaltspunkte gefunden, die dagegen sprächen, die Bremsspuraufzeichnung dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen zuzuordnen. Auch die Kratzspuren stehen im Wesentlichen im Einklang mit dem Unfallgeschehen. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass der Beklagte zu 3. mit Hilfe eines Passanten eine derart schwere Maschine liegend wegzieht, statt das Motorrad aufzurichten und wegzurollen. Es finden sich auch keine Kratzspuren in der Richtung, in der das Motorrad dann später abgestellt wurde. Hinsichtlich der Kratzspuren ist allerdings die Einschränkung zu machen, dass die weiteren Kratzspuren nach Kollision kaum dem Unfallgeschehen zugeordnet werden können, weil dann das Motorrad unter dem Pkw durchgerutscht sein müsste.

 

Obgleich der Senat mit dem Landgericht davon ausgeht, dass das vom Kläger gesteuerte Motorrad eine Näherungsgeschwindigkeit von 40 km/h statt erlaubter 30 km/h aufwies und die Geschwindigkeitsüberschreitung nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen K.......... auch mitursächlich für den Unfall war, haften die Beklagten aus Rechtsgründen zu 100 % für den dem Kläger entstandenen Schaden.

 

Nach der mündlichen Erläuterung des Sachverständigengutachtens kann dem Kläger lediglich eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 10 km/h angelastet werden, und nicht von mindestens 43 km/h, wie die Beklagten nach wie vor geltend machen In die nach § 17 StVG gebotene Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und eventuell Mitverschuldensanteile kann der Senat nur feststehende Tatsachen einstellen. Auf eine solche Mindestgeschwindigkeit hat sich der Sachverständige ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 06.05.2003 festgelegt. Es liegt dann eine Überschreitung zwischen 33 % bis 34 % vor. Nach der bei Christian Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 6. Auf!. (im Jahr 2000), erfolgten Zusammenstellung der Rechtsprechung wird bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 30% bis 50% zwar in der Regel von einer Haftungsquotelung auszugehen sein, ohne dass jedoch die Alleinhaftung des Vorfahrtsberechtigten oder die Alleinhaftung des Wartepflichtigen ausscheidet.

 

Ausgangspunkt der Betrachtung muss dabei sein, dass grundsätzlich eine Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten in Betracht zu ziehen ist, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wurde oder er für die Sichtverhältnisse zu schnell gefahren ist. Schematische Lösungen verbieten sich aber, da es auch auf die übrigen Umstände, wie die Art der beteiligten Fahrzeuge, die Unfallörtlichkeit, die Straßenverhältnisse, die Erkennbarkeit der Geschwindigkeitsüberschreitung einerseits bzw. der Vorfahrtsverletzung andererseits ankommt, und alle diese Umstände zu berücksichtigen sind.

Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Rahmen den Sichtverhältnissen zu.

Zwar hat der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit mit 33% erheblich überschritten und wäre bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h noch rechtzeitig zum Stand gekommen, oder aber der Beklagte zu 3. hätte den Linksabbiegevorgang schon beendet, bis der Kläger mit der erlaubten Näherungsgeschwindigkeit am Kollisionspunkt war. Es kann hier jedoch nicht schematisch auf die prozentuale Geschwindigkeitsüberschreitung abgestellt werden, die nur wegen der niedrigen erlaubten Ausgangsgeschwindigkeit derartig dramatisch ausfällt, die prozentuale Betrachtung betreffend. Wie die Aussage des Zeugen M… zeigt, wird auch noch die tatsächlich eingehaltene Geschwindigkeit von 40 km/h subjektives niedrig empfunden. Der Beklagte zu 3. musste im Stadtverkehr mit derartigen Geschwindigkeitsüberschreitungen gerade auch angesichts der Uhrzeit in den frühen Morgenstunden rechnen. Ob der Kläger mit einer Näherungsgeschwindigkeit von 30 km/h oder 40 km/h fuhr, konnte der Beklagte zu 3. nicht erkennen. Sämtliche Senatsmitglieder kennen die Unfallörtlichkeit. Der Bereich, in dem eine Geschwindigkeit von 30 km/h angeordnet ist, ist relativ lang. In nördlicher Richtung ist die Fahrbahn eng, finden sich rundum Ampelanlagenvorsprünge in den Verkehrsinseln, die den fließenden Verkehr zu leichten Ausweichbewegungen und damit zur Rücknahme der Geschwindigkeit zwingen, und finden sich viele Geschäfte mit den entsprechenden Ein- und Ausfahrten mit der Folge, dass man kaum schneller fahren kann als 30 km/h. Im Bereich der Unfallstelle ist dagegen die Bebauung schon aufgelockert, die Fahrbahn breiter und es findet sich Grünfläche. Der Kläger, der erst aus der Glauburgstraße in den Oederweg einfuhr, befuhr den Oederweg eine relativ kurze Strecke. Nach den Feststellungen des Sachverständigen K.......... beträgt der Abstand vom Haltepunkt an der Ampel in der Glauburgstraße, von der der Kläger nach der Aussage des Zeugen M… anfuhr, bis zum Unfallort etwa 110 m. Auch von daher konnte der Beklagte zu 3. nicht erkennen, ob der Kläger die erlaubte Geschwindigkeit fuhr oder zu schnell fuhr.

Tatsächlich hat der Beklagte zu 3. den Kläger auch überhaupt nicht gesehen, sondern schlicht übersehen, als der Beklagte zu 3. abbog nachdem er sich zunächst südlich und dann durch Blick auf die gegenüberliegende Straße vergewissert hatte, ob er abbiegen kann. Für den Beklagten zu 3. war die Sicht in den Oederweg in Fahrtrichtung des Klägers auch nicht eingeschränkt. Der Beklagte zu 3. hat hier ein Stoppschild missachtet. Ein deutliches Anhalten hat der Sachverständige K.......... jedenfalls ausgeschlossen.

Der Beklagte zu 3) hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ganz erheblichem Ausmaß außer Acht gelassen.

Demgegenüber ist der dem Kläger nachgewiesene Verkehrsverstoß durch Überschreitung der Geschwindigkeitsbegrenzung weitaus weniger gravierend und führt bei der gemäß § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Haftungsabwägung zur Alleinhaftung der Beklagten.

 

Die Beklagten haben dem Kläger seine materiellen Schäden zu 100 % zu regulieren.

Dies gilt auch für die materiellen Zukunftsschäden mit der Folge, dass der Feststellungsantrag entsprechend zu bescheiden war. Die gleichen Erwägungen gelten, soweit von den Beklagten zu 1. und 3. die Feststellung hinsichtlich des Ersatzes zu- künftiger immaterieller Schäden begehrt wird.

 

Von 100 %iger Haftung der Beklagten zu 1. und 3. ist auch auszugehen, soweit der Kläger die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes beansprucht.

 

Nach Auffassung des Senats ist im Hinblick auf die Schwere der Verletzungen, die der Kläger durch den Unfall davongetragen hat, ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 204.516,75  (= 400.000,-- DM) angemessen. Hiervon ist die Zahlung der Beklagten zu 1. in Höhe von 76,693,78  (150.000,-- DM) in Abzug zu bringen. Hinsichtlich der Bemessung des Schmerzensgeldes legt der Senat zunächst die Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil zugrunde. Der Senat schließt sich der zutreffenden Auswertung der ärztlichen Gutachten durch das Landgericht an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Entscheidungsgründe Seite 18 oben bis Seite 20 Mitte,

 

Darüber hinaus misst der Senat bei der Bemessung des Schmerzensgeldes aber auch noch der vom Kläger beklagten erheblichen Beeinträchtigung des Geruchs- und Geschmacksinns eine besondere Bedeutung bei.

Dieses Beschwerdebild hat bereits im HNO-fachärztliche Gutachten vom 11.04.2001 (Anlage K 22 = BI. 313 ff. d. A.) Berücksichtigung gefunden. Der Sachverständige Dr. med. M…. hat dabei die Angaben des Klägers als glaubhaft und nachvollziehbar eingestuft und anlässlich der Geruchsprüfung festgehalten, dass es wahrscheinlich sei, dass es seit dem schweren Schädelhirntrauma des Klägers zu einer Schädigung der Bulbieufaktorii gekommen sei, was zu der feststellbaren Geruchsstörung geführt habe.

Diese erhebliche Beeinträchtigung eines Sinnesorgans, die den Genuss sowohl einer Mahlzeit als auch von Getränken erheblich stört, bedeutet für den Kläger neben den ganz erheblichen Unfallfolgen eine weitere erhebliche Einbuße an Lebensfreude, die zu den sonstigen Einbußen an Lebensqualität, wie sie eine inkomplette Querschnittslähmung mit sich bringt, noch hinzutritt. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat sich der Senat zunächst einmal an den Entscheidungen des Landgerichts Hanau, abgedruckt in ZfS 1994, S. 443, und der unter der Nr. 2831 der Schmerzensgeldtabelle von Hacks-Ring-Böhm aufgeführten Entscheidung des Landgerichts Mosbach vom 30.04.2002 und den Entscheidungen des OLG Frankfurt am Main, abgedruckt in DAR 1990, S. 181, und der Entscheidung des OLG Köln, abgedruckt in r+s 1996, S. 310, orientiert, die bei vergleichbaren inkompletten Querschnittslähmungen noch relativ junger Menschen ein Schmerzensgeld von 350.000,-. DM insgesamt als angemessen bezeichnen. Dabei ist zum einen in der Rechtsprechung eine Aufwärtsentwicklung der bei Querschnittslähmungen zugesprochenen Schmerzensgelder zu verzeichnen und zu berücksichtigen, dass die zitierten Entscheidungen schon eine ganze Zeit zurückliegen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat bereits durch Urteil vom 22.09.1993, abgedruckt in DAR 1994, S. 21 ff., ein Schmerzensgeld von 400.000,-- DM für eine niedrige Querschnittslähmung unterhalb des Brustwirbels 8 als angemessen zugesprochen, allerdings einschließlich eines Betrages von 30.000,-- DM für die verzögerliche Schadensregulierung. Vorliegend hatte zwar eine derartige Erwägung außer Ansatz zu bleiben, hinzu trat aber die Beeinträchtigung des Geruchs- und Geschmacksinns und die damit einhergehende Einbuße an Lebensfreude.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, wobei zu berücksichtigen war, dass der Kläger zwar mit den im Senatstermin gestellten Anträgen voll obsiegt hat, die Berufung aber insoweit zurücknahm, als er mit ihr eine Schmerzensgeldrente neben einem angemessenen Kapitalbetrag an Schmerzensgeld, für das er sich mindestens 350.000,-- DM vorstellte und dies auch als Mindestbetrag forderte, geltend machte. Die Kosten der zurückgenommenen Berufung fallen dem Kläger zur Last, wobei bei Feststellung der Kostenquote allerdings zu berücksichtigen war, dass wegen der teilweisen Berufungsrücknahme des Klägers insoweit geringere Kosten angefallen sind.

 

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO i. V. m. § 711 ZPO.

 

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.

 

 

 

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